Razvan

Geboren am 1. Juni 1978 in Iasi; Hornist

 

Mit großem Gebell und großer Herzlichkeit werden wir in Sanpetru, einem kleinen Ort bei Brasov, empfangen. Einen der drei Hunde gab’s zum Haus dazu, das Razvan Dumitraşcu mit seiner Frau Diana vor vier Jahren gekauft hat. Drinnen schläft ihre wenige Tage alte Tochter, die dafür sorgt, dass ihre Eltern bei allem, was sie tun und sagen beseelt wirken. Trotz des Ereignisses lässt Razvan Dumitraşcu es sich nicht nehmen, uns die Umgebung zu zeigen. Im Mercedes fährt er uns nach Brasov und Honigberg, flucht unterwegs über die Autofahrer aus Bukarest, winkt Freunden am Wegesrand und fragt immer wieder, ob wir noch etwas brauchen. Er ist genauso freundlich und offen wie sein älterer Bruder Bogdan, den wir vor ein paar Monaten in Hamburg kennengelernt haben, aber ähnlich sehen sie sich nicht. Razvan Dumitraşcu hat wuschelige dunkle Haare auf dem Kopf und ist deutlich schlaksiger. Er habe das Glück, auf seinen Vater zu kommen, sagt er.

 


 

7.30 Uhr: Bauernomelette zum Frühstück

„In meine rumänische Frau
habe ich mich
in Düsseldorf verliebt.

Diana und ich haben uns in der Fachhochschule getroffen, wo die theoretischen Kurse fürs Musikstudium stattfanden. Irgendwann habe ich ihr eine Sms geschrieben, um sie zu fragen, ob sie zur Semesterabschlussfeier kommt: Hi du Schöne mit den (braunen, grünen, blauen) Augen. Kommst Du zur Party heute Abend? Dummerweise hatte ich nicht nur ihre Augenfarbe vergessen, sondern auch meinen Namen darunter zu schreiben. Sie hat natürlich nicht geantwortet, wahrscheinlich dachte sie: Was für ein verrückter Scheiß! Ich habe sie später angerufen. Da hat sie gelacht, als sie gehört hat, dass ich das war – und vorgeschlagen, etwas trinken zu gehen. Sie meinte eigentlich alle Rumänen, die an der Hochschule waren. Aber ich dachte, sie meinte nur mich. Als wir uns an der U-Bahn Nordstraße getroffen haben, hat sie gefragt: Wo sind die anderen? Und ich meinte: Welche anderen? Wir sind dann alleine los und haben unter anderem festgestellt, dass wir sieben Jahre zuvor in der rumänischen Stadt Iasi schon mal bei einer Preisverleihung auf derselben Bühne standen. Sie bekam einen Preis für Musiktheorie, ich fürs Horn spielen. Danach waren wir mal zusammen essen. Als ein Zigeuner mit einer Rose vorbeikam, habe ich ihr eine gekauft. Und als wir mit der U-Bahn nach Hause fuhren, habe ich so einen blöden Spruch gebracht, sowas wie: Wenn Du mit zu mir kommst und bleibst, werde ich Dich die ganze Nacht lieben. Sie ist geblieben. Und jetzt sind wir hier mit Kind, Haus, Katz und Maus. Und glücklich. Und wieder in Rumänien.“

 



 

11 Uhr: Orchesterprobe für La Traviata

 

  „In der vierten Klasse habe ich gestreikt.

Ich bin den ganzen Tag mit Bussen und Straßenbahnen gefahren, statt in die Generalschule 32  für Mathe und Physik zu gehen. Ich hatte immer so viele Hausaufgaben, das war mir einfach zu viel. Und ich war neidisch auf meinen Bruder Bogdan, weil er nur Geige üben musste. Damals dachte ich noch, üben sei wie spielen. Nach zwei Wochen ist mein Schwänzen aufgeflogen, als die Lehrerin anrief. Das war der Anfang meiner Laufbahn als Hornist. Denn meine Eltern haben nicht geschimpft, sondern sich gefragt: Was machen wir mit dem Jungen? Mein Opa und mein Vater wollten, dass ich Ingenieur werde. Meine Mutter, meine Tante und meine Oma wollten, dass ich irgendwas mit Kunst mache. Im Sommer waren wir dann, wie jede Woche, in einem Konzert in der Philharmonie. Da hat sich ein Hornist eingespielt. Ich habe dieses Horn gesehen, rundum glänzend gelb. Das hat mir gefallen. Meine Tante hat dann den Hornlehrer vom Kunstgymnasium angesprochen: Schau Dir mal den Jungen an, passen seine Lippen zu Horn? Er hat mich begutachtet, ein bisschen wie bei einem Pferd: Ja, Zähne sind okay. Bringt ihn zu mir. Die Frauen aus meiner Familie haben sich also durchgesetzt. Danach habe ich einen Sommer nur auf dem Mundstück gesummt – und dann ging’s weiter. Nach der Schule begann ich in Bukarest Horn zu studieren, später habe ich nach Düsseldorf gewechselt.

Was ich selbst gewollt hätte? Ich habe immer gern Flugzeuge und Fahrzeuge zusammengebaut und stundenlang Autos gezeichnet. In Deutschland habe ich sogar noch mal darüber nachgedacht etwas in Richtung Autodesign zu machen, als es schwierig wurde mit der Musik. Als Musiker bist Du Dein Leben lang Sklave. Mit einem Instrument musst Du jeden Tag trainieren, ähnlich wie ein Sportler. Wenn Du nachlässt, verlieren die Muskeln ihre Kraft. Ich habe nach dem Studium einige Probespiele für verschiedene Orchester mitgemacht. Aber ich habe keine Stelle gefunden. Hornisten werden einfach nicht so viele gebraucht wie Streicher, und die Konkurrenz ist groß.

2008 sind wir dann nach Rumänien zurückgekommen und nach Brasov gezogen. Nach einer schwierigen Zeit am Anfang habe ich eine Stelle an der Oper bekommen. Im Vergleich zu dem, was mein Bruder in Hamburg an der Oper verdient, ist mein Lohn peinlich klein. Ich bekomme umgerechnet etwa 250 Euro im Monat. Allerdings muss ich auch längst nicht so viel arbeiten wie mein Bruder. Hier ist es ruhiger, weniger Druck. Und zusammen mit dem höheren Gehalt meiner Frau reicht das Geld. Diana arbeitet inzwischen in einer amerikanischen Firma, die für andere Firmen die Kundenbetreuung übernimmt. Sie telefoniert zum Beispiel mit Kunden in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Dass die von Rumänien aus beraten werden, liegt daran, dass die Arbeitskräfte hier billiger sind.“

 



 

16 Uhr: Arbeit im Garten

 

„Sehnsucht nach Rumänien hatte ich immer.

Diana und ich waren oft in den Ferien dort. Wir hatten damals so ein Musikerauto, ein Daihatsu Applause, das mein Bruder und mein Onkel uns zur Hochzeit geschenkt haben. Ein Japaner, ganz spritzig, ganz toll. Aber wenn wir mit ihm in Richtung Deutschland gefahren sind, wurde ich mit jedem Kilometer trauriger. Komm, lass uns umdrehen und noch ein bisschen bleiben, habe ich zu Diana gesagt. 

In Düsseldorf war ich immer antriebslos. Die Wolkendecke hing so tief, ich hatte das Gefühl, es lastet etwas auf meinem Kopf. Es gibt die Theorie, dass das Land, in dem Du geboren bist, eine bestimmte Energie hat. Wenn Du die gewohnt bist, ist das in Dir eingewachsen. Ein anderes Land hat eine andere Energie. Entweder Du kommst damit zurecht oder Dir wird immer was fehlen. Das ist dieses Heimatgefühl oder das, was man Heimweh nennt. Bei mir war das ausgeprägter als bei meinem Bruder, der nach seinem Studium in Hamburg geblieben ist.

Nach zehn Jahren in Deutschland sehe ich hier allerdings auch viele Dinge anders. Mich stört, dass sie es nicht hinkriegen mit den Autobahnen und saudumme Verträge mit amerikanischen Firmen abschließen. Mich stört die Art, wie Politik gemacht wird. Mir fällt einfach viel mehr auf, was alles noch getan werden muss. Durch den EU-Betritt hat sich schon etwas bewegt. Aber er hat auch negative Folgen. Die Handelsfreiheit bedeutet zum Beispiel auch, dass in Markenketten wie Real, Kaufland und Metro die günstigsten Kartoffeln aus Deutschland kommen und wir die besser schmeckenden rumänischen Kartoffeln in Massen wegschmeißen, weil sie nicht ganz so perfekt geformt sind. Man ist es hier einfach noch nicht gewohnt, ein bisschen mehr mitzudenken beim Einkaufen. Nach 40 Jahren Kommunismus sind die meisten zufrieden, dass es überhaupt so viel zu kaufen gibt. Und dann wundern sich die Leute, dass die Tomaten nicht mehr so lecker sind wie früher. Kein Wunder, sie kaufen ja Wasserbomben aus Holland!

Das ist auch ein Grund, warum wir in unserem 700 Quadratmeter großen Garten alles selbst anbauen: mehrere Sorten Tomaten, Gurken, Zucchini, Weiß- und Rotkohl, Paprika, Pepperoni, Kartoffeln, Erbsen, Mais, Zwiebeln, Knoblauch und alle möglichen Kräuter. Da weiß ich wenigstens, was ich esse.“

 



 

19 Uhr: Chorprobe in Honigberg

 

„Das soziale Leben hier ist wunderbar.

Meine Frau leitet den Chor der benachbarten Gemeinde in Honigberg, dort haben wir sehr gute Freunde gefunden. Das ist das Tolle daran, dass ich nur drei oder vier Stunden am Tag arbeite: Ich habe Zeit für unseren Garten und Zeit, mit Freunden ein Bierchen zu trinken. Natürlich hätte ich gern einen Porsche, aber zufrieden bin ich auch mit einem Fahrrad. Ich bin von der Mentalität her eben ein Mensch, der sich nicht mehr streckt, als die Decke hoch ist. Damit fühle ich mich ganz rumänisch. Das heißt aber nicht, dass ich nicht schon immer auch Europäer war. Als kleiner Junge habe ich viel Karl May gelesen. Ich meine, in einem seiner Bücher wäre mir zum ersten Mal die Idee eines vereinten Europas begegnet. Dass es ohne Grenzen sein wird und alle nach dem gleichen Gesetz leben sollen. Ich finde die Idee immer noch großartig, aber ich glaube einfach nicht, dass man die Länder ökonomisch vergleichen kann. Das ist utopisch. Und ich finde es nicht gut, wenn die großen starken Länder bestimmen, was die kleineren Länder mit ihrem Geld anfangen.

Abgesehen vom Wirtschaftlichen sehe ich aber eine Ähnlichkeit in der Art, wie wir in Europa als Menschen leben. Wie wir denken, wie wir uns anziehen, wie wir einkaufen gehen, was für uns wichtig ist, wie wir in die Zukunft denken. Die Art, wie wir uns alles vorstellen, wenn wir ein Haus bauen. Wir sind anders als die Amerikaner. Ich werde nie kapieren, warum die Holzhäuser in Gegenden bauen, in denen ein Tornado vorbeikommen könnte. Ich könnte mir auch niemals vorstellen, in Amerika zu leben. Alles groß zu haben und in großen Mengen – das würde ich nicht ertragen.“

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