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Geboren am 9. Juni 1977 in Iasi, Rumänien; 1. Violine bei den Philharmonikern Hamburg

 

Wenn an einem Samstag im April ausnahmsweise mal die Sonne scheint, verschlafen die Hamburger sie. Die Innenstadt rund um die Oper ist morgens um halb neun wie leergefegt. Nur auf den schattigen Bühneneingang laufen ab und zu Menschen mit unförmigen großen Koffern zu, denn gleich ist Orchesterprobe. Einer von ihnen trägt zusätzlich eine dunkle Schiffermütze auf dem kurzen, etwas schütteren Haar. Jung wirkt Bogdan Dumitraşcu trotzdem: Seine dunklen Augen blitzen verschmitzt, als er behauptet, dass man in Rumänien wahrscheinlich noch gegen Bären gekämpft habe, während hier 1678 das erste öffentliche Opernhaus Deutschlands gegründet wurde. Sein Deutsch fließt schneller als bei den meisten Hamburgern – egal, ob er gerade Kantinenkaffee trinkt, eine Pizza Calzone verspeist oder im Auto sitzt. Doch wenn er die Geige an sein Kinn legt, verstummt er.  

 


 

10 Uhr, Anfang der Orchesterprobe für „Turandot” von Giacomo Puccini in der Hamburgischen Staatsoper, Raum 718 – Orchesterprobensaal

„Mit 19 bin ich in Rostock aus dem Zug gestiegen.

Es war alles grau, Plattenbauten, richtig hässlich. Was machst Du hier, habe ich mich gefragt. Es sieht ja genauso aus wie in Rumänien! Ich hatte nur einen Koffer dabei, konnte die Sprache nicht und wusste nur, dass ich in der Violinklasse von Professor Petru Munteanu an der Rostocker Musikhochschule studieren würde. Sonst hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet. Aber ich habe mich gefreut, dass es jetzt sehr professionell in Richtung Musik geht. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, das so tolle Orchester hat wie Deutschland! Dass ich Geiger werden muss und möchte, wusste ich schon mit sieben Jahren. In dieser Reihenfolge: erst muss, dann möchte. Meine Tante ist Geigerin. Sie hat mich damals gefragt, ob ich auch Geige lernen will. Ich habe ja gesagt, damit war die Sache klar. Ich kam an eine Spezialschule für Musik und danach hat mich niemand mehr gefragt, ob ich das will. Als Achtjähriger habe ich schon zwei Stunden geübt, während mein Bruder Razvan draußen Fußball gespielt hat. Er ist später auch Musiker geworden, Hornist. Mit dem Horn muss man aber nicht so früh anfangen wie mit der Geige.
Manchmal habe ich mich ums Üben gedrückt. Da habe ich zwei, drei Kritzeleien in die Noten gemacht und mir am Hals die Stelle rot gerieben, wo die Geige einen Abdruck hinterlässt. Irgendwann dachte ich: Ich hör auf und mach was anderes. Dann bin ich die Möglichkeiten durchgegangen: Mathe – schwierig, da muss man sehr fit im Kopf sein und lernen. Sprachen – da muss man auch seine Hausaufgaben machen. Gut, dann eben Handwerker wie mein Vater, ein Schlosser. Ich habe seine breiten Hände vor
mir gesehen, die immer schmutzig waren. Am Ende kam ich
zu dem Entschluss, doch bei der Geige zu bleiben.”

 



 

12.30 Uhr, Ende der Orchesterprobe

 

„Unser Orchester ist sehr international,

die Musiker kommen aus Dänemark, Japan, Polen, Schweden, Frankreich, Russland und vielen weiteren Ländern. Fast alle Orchester sind so. Musik ist nicht an irgendetwas gebunden, wie zum Beispiel die Wirtschaft. Um hier in der freien Wirtschaft erfolgreich zu sein, muss man das deutsche Wirtschaftssystem und die Sprache kennen. Musik ist eine internationale Sprache. Man muss nur ein Instrument beherrschen, um mitreden zu können. Ich bin glücklich, dass ich es hierher geschafft habe.“

 



 

13.30 Uhr, Gespräch beim Mittagessen im Ristorante Da Donato, Hamburg Neustadt

 

„Die Türken denken, ich bin Türke.

Und die Italiener sprechen mich manchmal auf Italienisch an. Ich liebe die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, esse gern bei einem Franzosen in der Nähe der Oper und mag amerikanische Filme. Meine Freundin ist Deutsche und mein bester Freund kommt aus Tschechien. Ich fühle mich also oft ziemlich europäisch. Was an mir typisch rumänisch ist? Wohl am ehesten mein Temperament. Wenn mich etwas ärgert, steigert sich von Satz zu Satz meine Emotion – bis ich anfange zu schreien. Ich habe viel für Gefühle übrig. Wenn mir etwas gefällt, kann ich nicht sagen, warum, sondern ich fühle das. Meistens schon beim ersten Eindruck. Das ist bei Wohnungen so, bei Autos und in der Musik sowieso. Aber ich habe auch eine deutsche Seite, nämlich meine Pünktlichkeit und Gründlichkeit. Ich finde es gut, diese beiden Seiten zu haben, auch wenn sie manchmal streiten. Das gehört irgendwie auch zu mir. Bei den Rumänen stört mich dann, dass sie so viel aus dem Gefühl heraus agieren, ohne großartig über die Folgen nachzudenken. Und bei den Deutschen stört mich, dass sie sich so in Details verlieren können, dass ich sagen will: Kommt, lasst gut sein jetzt. Ich habe oft das Gefühl, etwas zu vermissen. Wenn ich in Rumänien bin, vermisse ich Deutschland. Und wenn ich hier bin, vermisse ich Rumänien. Andererseits kann ich aber gar nicht sagen, was genau mir fehlt. Vielleicht ist es eher die Angst, etwas zu verlieren, was ich mal hatte. Ich war die ersten 19 Jahre meines Lebens Rumäne. Jetzt bin ich älter und nicht mehr ganz Rumäne. Ich habe Angst, dass ich irgendwann gar kein Rumäne mehr bin.“

 



 

Niendorf, 2012, Tusche auf Papier, 29 x 21 cm

„Meine Freundin
und ich wollen heiraten,

aber es ist kompliziert, weil ich rumänischer Staatsbürger bin. Ich hatte mir das ganz einfach vorgestellt, weil Rumänien ja zur EU gehört. Aber komischerweise erstellt Rumänien als eines von ganz wenigen Ländern kein Heiratsfähigkeitszeugnis und ich brauche deswegen andere Papiere. Um die zu bekommen, müsste ich hinfahren oder meinen Vater mit einer Vollmacht hinschicken. Dann muss alles übersetzt werden von deutsch auf rumänisch, von rumänisch auf deutsch, immer hin und her. Die Papiere müsste ich dann zum Gericht schicken und die prüfen mindestens drei, vier Monate, ob ich kein Terrorist bin oder sonst was. Nun versuche ich, mich einbürgern zu lassen, weil das vielleicht schneller geht. Außerdem lebe ich schon so lange hier, dass ich gern beide Staatsbürgerschaften hätte. Wenn es dann doch mal klappt mit dem Heiraten und wir vielleicht irgendwann Kinder haben, wäre es mir sehr wichtig, dass wir viel Zeit in Rumänien verbringen. Ich glaube, es ist wichtig, seine Wurzeln zu kennen und zu pflegen. Meine Kinder sollen sich in Rumänien nicht ausländisch vorkommen. Und wenn man schon eine internationale Familie hat, wäre es ja auch schade, da nichts draus zu machen.“

 

 

 

 

 



 

19.30 Uhr, Vorstellung in der Hamburgischen Staatsoper, „Die kleine Meerjungfrau“ von John Neumeier frei nach Hans Christian Andersen

 

„Ich wünschte mir,

dass ich meine beiden Heimaten irgendwie verbinden könnte. Mein Geburtsort ist 2000 Kilometer von Hamburg entfernt. Trotzdem gucke ich immer auf der Wetter-App nach, wie dort das Wetter ist. Und dann denke ich: Scheiße! Die haben schon 25 Grad und hier regnet’s. Ich wünschte mir, dass ich ein halbes Jahr dort leben könnte und ein halbes Jahr hier. Vielleicht geht das irgendwann. Vielleicht könnte ich dort unterrichten oder in einem Orchester spielen. Ich wünschte mir, dort eine Existenz zu haben wie hier, einen Alltag zu haben. Aber das ist schwierig. Man muss Kontakte pflegen, und im kulturellen Bereich gibt es für nix Geld. In Rumänien noch weniger als hier. Die müssen sparen, wie überall. Ich habe alle möglichen Rentenversicherungen. Aber wenn ich an die Zukunft denke, überlege ich manchmal: In Deutschland hätte ich als alter Mann vielleicht zu wenig zum Leben, aber in Rumänien würde ich damit hinkommen. Aber wer weiß, ob ich mir das dann noch vorstellen kann. Jetzt bin ich seit 16 Jahren in Deutschland, bald sind es 19, dann ist e s genau die Hälfte. Irgendwann werde ich viel länger hier gelebt haben. Ob ich dann dort noch mal Fuß fassen könnte? Ich weiß es nicht.“

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