Geboren am 17.01. 1960; Bürgermeister
Sein Händedruck ist fest, die Stimme dunkel, der Kopf kahlgeschoren und rund um den Mund trägt er einen Henriquatre. Dieser Bart verdankt seinen Namen dem französischen König Heinrich den IV., der als machtbewusster Herrscher und lebenslustiger Frauentyp galt und von den Franzosen heute noch als „guter König“ verehrt wird. Das passt zu Vít Vomáčka, wie er da in seinem Empfangszimmer auf dem für ihn zu klein wirkenden Sofa thront – hinter sich die Wand voller Bilder, die ihn mit wichtigen Menschen zeigen, zu seinen Füßen eine beeindruckende Sammlung hölzerner Schlangen, neben sich eine Übersetzerin zur Verständigung und die Grundschuldirektorin des Ortes zur allgemeinen Unterstützung. Später kommen noch zwei junge Frauen von der Lokalpresse dazu. Dennoch schafft Vít Vomáčka es mühelos, seine Aufmerksamkeit und seine Scherze gerecht in alle Richtungen zu verteilen. Er hat sich Zeit genommen an diesem Tag, um uns durch den Ort und seine Geschichte zu führen, uns die Kirche und die restaurierten deutschen Gräber auf dem Friedhof zu zeigen und mit uns in seinem Büro Kaffee zu trinken, Zigaretten zu rauchen und alle Fragen zu beantworten.
„Ein Terrarium mit einer echten Schlange,
das hätte ich hier gern gehabt im Rathaus. Aber ich dachte, das ist vielleicht nicht so gut. Wegen der vielen Besucher und weil Tiere so viel Arbeit machen. Während meines Wehrdienstes musste ich mich um 40 Hunde kümmern, ich weiß also, wovon ich spreche. So ist es stattdessen eine Sammlung von Holzkobras geworden, die zwischen meinem Schreibtisch und der Sitzgruppe für Besucher stehen. Es kommen oft Leute vorbei, die etwas auf dem Herzen haben, mehr als ein Dutzend am Tag. Sie kommen, wenn sie einen Rat brauchen, weil es Streit mit dem Nachbarn gibt, wenn die Straßenlaterne an der Bushaltestelle nicht funktioniert oder um sich zu beschweren, dass das Gras noch nicht gemäht ist.
Kravare hat 820 Einwohner. Wir haben einen Kindergarten, eine Grundschule, ein Infozentrum und eine Kirche, die wir auch für kulturelle Veranstaltungen nutzen. Neulich haben Schüler dort ein Theaterstück aufgeführt, irgendwann hat doch tatsächlich ein Handy geklingelt! Aber das gehört wohl zu einem lebendigen Ort. Ich bin seit 21 Jahren Bürgermeister, kenne jeden und kümmere mich um alles. Ich habe schon viele Brautpaare getraut. Und bevor die EU unseren Schulbus und den Fahrer mitfinanziert hat, bin ich selbst rumgefahren, um die Kinder zur Grundschule zu bringen. Ich kenne sie alle mit Namen und sie kennen mich. Die Kinder winken mir, wenn ich an ihnen vorbeifahre. Mir ist das wichtig, dass man sich grüßt in so einem kleinen Ort, überhaupt, der Kontakt zu den Bürgern. Ich möchte wissen, was sie beschäftigt.
Was ich mache, mache ich für die Leute. Und das sollte auch die Philosophie des Gemeinderats sein, finde ich. Egal ob linkes Lager oder rechtes Lager. Es kommt darauf an, was man tut, es geht um die Sache. Auf politische Machtspielchen habe ich keine Lust. Deswegen bin ich auch nie in eine Partei eingetreten, sondern frei. Das macht die Arbeit im Bürgerrat nicht immer leicht. Um an ein Ziel zu kommen, bin ich immer auf die anderen Ratsmitglieder angewiesen. Mich ärgert nichts mehr als Faulheit, Dummheit und falsches Spiel. Ich bin für Offenheit, alle sollen sagen, was sie denken. Bei unserem jetzigen Rat funktioniert das gut, er ist der beste, den wir in meiner Amtszeit je hatten.“
„Als Kniefall vor den Deutschen
sind die Gedenktafeln nicht zu verstehen, die wir vor kurzem an den deutschen Gräbern auf dem Friedhof vor unserer Kirche haben anbringen lassen. Sie sind allein da, um der Toten zu gedenken. Wir sind hier in Nordböhmen nur wenige Kilometer von der Grenze zu Deutschland entfernt, Kravare hieß früher Graber und war ein deutsches Dorf, ehemaliges Sudetenland. Jetzt ist es rein tschechisch. Die Grabsteine der Deutschen lagen lange Zeit verstreut in irgendwelchen Büschen und keiner hat sich um die Gräber gekümmert. Aber die Geschichte gehört zu diesem Ort, und der Gemeinderat hat einstimmig beschlossen, dass wir die Gräber wieder herrichten und eine Gedenktafel anbringen. Ich war überrascht, wie gut auch die Bürger die Restaurierung aufgenommen haben. Die ganz Alten genauso wie die ganz Jungen. Natürlich gab es wie bei allem, was man macht, einen, der dagegen gestänkert hat. Aber bei den meisten war die Neugier größer als die Skepsis und sie sind vorbeigekommen, um sich die Ruhestätten anzusehen. Bisher gab es keinen Vandalismus, das zeigt ja die Akzeptanz in der Bevölkerung. Aber ich habe auch versucht, sie darauf vorzubereiten und vorher erklärt, warum wir die Gräber restaurieren.
Eigentlich haben meine Eltern mich darauf aufmerksam gemacht, dass es sich gehören würde, sich um diesen Teil unserer Geschichte zu kümmern. Meine Mutter ist Grundschullehrerin und mein Vater Professor für Pädagogik und Psychologie. Unter den Russen durfte er nicht an der Hochschule lehren, deswegen wurde er bis zur Samtenen Revolution 1989 als Lehrer an verschiedene Schulen geschickt. Auch ich habe unter den politischen Zuständen gelitten, denn ich durfte nicht studieren. Ich habe dann eine Lehre als Traktorist gemacht, auf dem Feld gearbeitet und Maschinen repariert. Im Abendstudium bin ich später Ingenieur geworden.
Nun, dass ich mein Leben in einem Rathaus verbringe, hätte ich damals nicht gedacht. Ich hatte nie vor, Politik zu machen. Aber jetzt bin ich sieben Tage die Woche hier. Zum Schlafen fahre ich ins 14 Kilometer entfernte Ceska Lipa, wo ich bei meiner Mutter wohne. Den Weg nach Kravare morgens nutze ich zur Vorbereitung des Tages. Ich telefoniere dann immer mit meiner Sekretärin, die mir sagt, was alles ansteht. Eigentlich schlafe ich gern lang und da ich der Chef bin, erwartet keiner, dass ich pünktlich bin. Meistens bin ich trotzdem um acht Uhr morgens da. Oft bleibe ich bis in den späten Abend hinein, vor allem wenn Gemeinderatssitzungen sind, so wie heute. Oder ich gehe abends noch ins Fitnesszentrum in die Sauna. Das brauch ich zum Ausgleich, zur Entspannung. Krank war ich als Bürgermeister noch nie, obwohl, einmal hatte ich einen Schnupfen.
In meinem alten Leben war ich mal anderthalb Jahre verheiratet. Das war genug. Aber dadurch habe ich zum Glück zwei wunderbare erwachsene Töchter. Die Ältere ist Lehrerin und die Jüngere studiert. Wenn ich sehe, wie viel sie unterwegs ist, wie sie Sprachen lernt, dann denke ich: So soll es sein. Die Menschen sollen sich über Grenzen hinweg treffen, zusammensitzen, reden, sich Dinge erklären. Das ist die Zukunft.“
(Herzlichen Dank an die Deutsche Botschaft Prag für die Unterstützung bei der Recherche.)