Artikel_Henrik

Geboren am 11. April 1957 in Kopenhagen; Landesleiter von Bayer HealthCare Pharmaceutical’s in Polen

 

Vier Kinder und einen blonden Labrador hat Henrik Wulff in seiner Wohnung in Kopenhagen zurückgelassen, als er mit seiner Frau nach Warschau ging. „Polen? Nee, Papa!“ – sagten die zwei Töchter und zwei Söhne, gerade erwachsen, einhellig. Spuren von ihnen findet man dennoch in seinem Büro. „Das hier habe ich von meinem Sohn; man beachte die Magie des Zeichens!“, ruft Henrik Wulff und läuft zur Magnetwand schräg gegenüber von seinem Schreibtisch: „Impossible“ steht da auf einem DIN A4 Zettel – und darunter: „I’m possible.“ Dieser einfache Optimismus passt zu ihm, wie er da im weißen Hemd am Konferenztisch sitzt und einen erwartungsvoll durch seine schwarze eckige Brille anschaut, während draußen die Autos auf der Aleje Jerozolimskie vorbeidonnern und der Asphalt der Ausfallstraße bei über 30 Grad zu glühen scheint. Trotz der drückenden Hitze war Henrik Wulff, der bereits in Kopenhagen, New York und Berlin beim Marathon angetreten ist, gestern Abend noch laufen. Und seinen Kaffee, den ihm seine Assistentin auf unfassbar hohen Absätzen herbeibalanciert hat, rührt er während des Gesprächs kaum an.

 


 

„Wahrscheinlich lebe ich schon in einer Art Blase.

Ich kann nicht behaupten, dass ich voll integriert in die polnische Gesellschaft bin, obwohl ich seit zweieinhalb Jahren sehr gern in Warschau wohne. Mir gefällt die Fröhlichkeit der Polen. Leider habe ich außerhalb des Büros nicht so viel Kontakt zu ihnen. So läuft es halt, wenn man oft umzieht und die Sprache nicht beherrscht. Am Anfang haben meine Frau und ich versucht, polnisch zu lernen. Was haben wir immer geschwitzt, bevor der Lehrer reinkam! Meistens hatten wir alles schon wieder vergessen, was wir in der vorherigen Stunde gelernt hatten. Es fiel uns wahnsinnig schwer, die Wörter zu behalten, weil sie uns an keine andere Sprache, die wir können, erinnert haben. Irgendwann haben wir beschlossen, dass wir auch zurechtkommen, ohne richtig polnisch zu sprechen. Wir sind eh nicht länger als drei, vier Jahre hier. Danach geht es wieder in ein anderes Land.

Ich habe bereits in Dänemark, England, Irland und Schweden gelebt – und häufig im Baltikum, in Island und in Russland, damals noch Sowjetunion, gearbeitet. In vielen Ländern war ich für Bayer.
Von der Arbeit her macht es keinen großen Unterschied, wo ich bin. Bayer ist Bayer. Überall ist das runde Bayerkreuz auf dem Dach und sobald man über die Schwelle tritt, riecht es nach Bayer.
Der Alltag ist derselbe: E-Mails durchgehen, sehr viele Meetings und Telefonkonferenzen, sehen, dass alles läuft… Jedes Mal, wenn ich in einem neuen Land als Geschäftsführer anfange, sagen sie mir: Was Du in Irland gemacht hast, was Du in Dänemark gelernt hast, was Du in Schweden herausgefunden hast, ist hier alles nicht zu gebrauchen. Klar gibt es Unterschiede: Polen hat ein polnisches Gesetz. Das bedeutet aber nicht, dass Business deswegen ganz anders läuft als etwa in Irland. Letztlich geht es darum, ein Produkt zu verkaufen. Was anders ist, ist die Arbeitsmentalität.
Als ich nach Polen gekommen bin, habe ich hungrige Menschen getroffen. Hungrig nach Erfolg. Hier gibt es nicht diese lange Geschichte des Wohlstands, wie wir sie aus Dänemark oder Deutschland kennen. Mir kommt es vor, als sei man dadurch in den westlichen Ländern etwas träge geworden.
Hätte ich zum Beispiel jemanden in den nordischen Ländern gefragt: Wenn ich Dir hundert gebe, was würdest Du damit machen? Dann wäre die Antwort: Urlaub. Würde ich dasselbe einen Polen fragen, würde er sagen: Ich würde mich reinhängen, um Dir in ein paar Wochen hundertfünfzig zurückzugeben. Natürlich habe ich das nicht wirklich ausprobiert, aber so ist mein Eindruck. Die Polen haben diesen Wunsch aufzuholen, während wir nicht richtig wissen, wo es hingehen soll. Das ist wohl auch der Grund, warum die polnische Wirtschaft boomt.

Doch von solchen Mentalitätsunterschieden einmal abgesehen: Tief drinnen sind die Menschen dieselben – zumindest in dem Teil der Welt, in dem ich gearbeitet habe, in Europa. Wir mögen ein wenig anders aussehen, aber wir tragen dieselben Sehnsüchte und Hoffnungen in uns, wir empfinden dieselbe Liebe für unsere Familien.
Selbst wenn ich bei internationalen Meetings Araber treffe, die deutlich religiöser sind und nach anderen Gesetzen leben: Sobald man zusammensitzt und über private Wünsche spricht, findet man heraus, wie viel man teilt und dass wir am Ende alle nur menschliche Wesen auf einem großen Planeten sind. Die Begleitumstände sind andere. Aber in Europa sind sogar diese Unterschiede verdammt klein.
Wir denken immer, Amerikaner seien Amerikaner. Doch wenn ich jemanden aus New York treffe, jemanden aus Los Angeles und jemanden aus dem Mittleren Westen: Tut mir leid, die sind viel unterschiedlicher als ein Italiener, ein Deutscher und ein Pole. Für mich ist das eine großartige Erkenntnis, ich fühle mich dadurch inzwischen als europäischer Däne.

Verrückt, dass es immer noch so viele Leute gibt, die nie aus ihrem Land rausgekommen sind. Typischerweise sind sie es, die Menschen aus anderen Ländern komisch und fremd finden. Die einheimischen Medien unterstützen diese Sicht ja auch ständig. Man meint dann: Alles, was gut ist, komme aus dem eigenen Land. Wir haben, was weiß ich, Youtube erfunden! Kaum ist man woanders, stellt man fest: Dort wurde etwas erfunden, das eigentlich viel cleverer ist. Von den Polen denken viele, die seien nicht besonders patent. Völliger Quatsch. Die Dänen könnten viel von ihnen lernen.
Es gibt hier allen möglichen Schnickschnack, bei dem ich denke, wow! Ein kleines dummes Beispiel: Wenn man in Polen an einer roten Ampel steht und rechts abbiegen will, gibt es da einen grünen Pfeil, der bedeutet: Wenn die Straße frei ist, darf man trotzdem fahren. Das gibt es fast an jeder Kreuzung. Warum haben wir das nicht in Dänemark?
Dass sich die Perspektive auf das eigene Land ändert, empfinde ich als Riesengewinn – und das heißt nicht, dass ich meine Heimat nicht schätze. Es wäre nur so schön, wenn jeder wüsste, dass es überall schlaue und liebenswerte Menschen gibt.
Warschau kommt vielen immer sehr weit weg vor. Doch es gibt vier direkte Flüge nach Kopenhagen am Tag. Wenn ich an einem Freitag um 16 Uhr mein Büro verlasse, kann ich um 19 Uhr in Kopenhagen bei meinen Kindern sein. Und wenn ich die Tickets mit genug Vorlauf kaufe, ist das sogar günstiger, als einen Zug von Warschau nach Krakau zu nehmen. Die Grenzen verlieren an Bedeutung. Wenn ich mich in Dänemark ins Auto setze und nach Deutschland fahre, nach Frankreich, nach Italien, und ich nie einen Ausweis zeigen muss, fühle ich mich großartig.
Ich bin optimistisch, was Europa betrifft – trotz dieser verdammten Finanzkrise. Ich muss zugeben, dass ich nicht so recht weiß, was ich hinsichtlich der mediterranen Länder fühlen soll. Doch insgesamt gehe ich davon aus, dass wir uns nur in einem Tal befinden. Man muss sich mal die große Perspektive ansehen. Wie sah Europa vor hundert Jahren aus? Das Hier und Jetzt ist nur eine Momentaufnahme. In zwanzig  Jahren werden die Leute sagen: Von was redet ihr da? Was war das für eine Krise?
Wenn ich bis dahin nicht tot bin, werde ich dann meinen Ruhestand in Kopenhagen verbringen. Das ist das Ziel.

 

16 Uhr, im Büro des Country Division Head, Bayer HealthCare Pharmaceutical’s Poland

 

17 Uhr, im Büro des Country Division Head, Bayer HealthCare Pharmaceutical’s Poland

 

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